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Interview mit Regisseur Horst Krassa

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Das Individuum kristallisierte sich

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Wie entstand die Idee zu »Über Nacht«?

Film ist das Medium, das mich am stärksten berühren, bewegen kann, und das eigentlich schon immer. Irgendwann kam ich auf die Idee, selber Filme zu machen. Ich orientierte mich dabei an Filmen, die mir gefallen, Filmen, bei denen der Mensch im Vordergrund steht. Ein Regisseur, dessen Namen mir entfallen ist, sagte einmal in einem Fernsehinterview: »Für einen guten Film braucht es eines erhabenen Themas. Und es gibt nur zwei erhabene Themen: Den Tod und die Liebe.« Als ich das hörte, sagte ich mir: Stimmt. Und mit diesem Gedanken im Hinterkopf machte ich mich daran, das Drehbuch zu schreiben und den Film zu realisieren.



Unter welchen Gesichtspunkten hast du die Handlung und die Charaktere der Geschichte entwickelt?

Das Drehbuchschreiben verlief über verschiedene Phasen. Die erste nenne ich einmal die unbefleckte Phase, die Zeit des einfachen Drauflosschreibens. Darauf folgte dann die Befleckte. Ich suchte Kontakt zu Lehrern mit methodischen Vorgaben und beschäftigte mich schulisch-theoretisch mit dem Prozeß. Ich habe diese formellen Vorgehensweisen dann probiert und festgestellt, daß sie mir leider nicht liegen. Zum Beispiel kam ich mir albern vor, wenn ich versuchte eine Figur sozusagen zu erfinden. Mir ist dabei, als müsse ich sie besser kennen als sie sich selber, also über ihr stehen, quasi Gott spielen, und dann kann ich mich nicht mehr ernst nehmen und dann geht gar nichts mehr. Also habe ich weiter gesucht. Irgendwann hatte ich die diffuse Idee zu einem Charakter, einer Hauptfigur: Einem jungen Mann, nicht mehr jugendlich, sondern im Leben stehend, erfolgreich, zumindest nach außen. Nach Innen eher ausgebrannt, ein Fotograph, der auf dem Weg zum Erfolg seine Leidenschaft, die ursprünglich mal da war, verloren hat. Er hat zwar alles, Geld, Wohnung, Auto, Frau, aber von seinem alten Lebensträumen scheint er sich weit entfernt zu haben. Ich versuchte der Figur näher zu kommen, indem ich sie fiktiv bei ihren alltäglichen Treiben begleitete. So kam die Handlung zustande. Ich folgte Pavel, so heißt die Figur, in die unterschiedlichsten Situationen, und schaute dabei zu, wie er sich verhielt, was für Entscheidungen er hier und da traf. Auf diese Weise erschloß sich peu à peu dessen Charakter, etwas spezielles individuelles kristallisierte sich heraus, die Pavel-Figur wurde greifbar und auf einmal war auch eine Geschichte da. In der allerdings nun noch drei weitere Figuren aufgetaucht waren, bei denen ich auch das Gefühl hatte, sie genauso gut kennenlernen zu wollen/müssen wie Pavel. Also habe ich mit Mathilda, Moni und Hans, so die Namen der Figuren, das selbe unternommen und sie ebenfalls auf die gleiche Weise durch die Geschichte begleitet. Heraus kamen vier Geschichten mit einer durchschlagenden Hauptgeschichte. Gleichzeitig ergab sich daraus auf eine, zumindest erscheint mir das so, natürliche Weise die Struktur des Films.


  pavel at work mathilda at work
 

Ist »Über Nacht« eine Liebesgeschichte?


Mindestens eine. Im Grunde sind es ja mehrere:

Mathilda und Pavel, Pavel und seine Ex-Freundin, Moni, Mathilda und Hans, Hans und die Prostituierte Irma, Moni und ihre zahlreichen Liebhaber, Mathilda und Moni. Alles das sind Liebesgeschichten unterschiedlicher Art und unterschiedlicher Natur.

Moni geht mit ihren Liebesbedürfnissen anders um, als Mathilda. Mathilda ist eine junge Frau, die die Liebe noch nicht kennt und auch nicht kennenlernen will, weil ihr alles damit verbundene suspekt und unheimlich erscheint. Moni dagegen geht oft und gerne mit Männern ins Bett. Sie hat eine andere Art, ihren Ängsten aus dem Weg zu gehen. Dem Aspekt der Liebe gesteht sie keine echte Ernsthaftigkeit zu. Hans verschanzt sich in seinem Club und hinter seinen dubiosen Geschäften. Und Pavel? Es gibt da Theorien, die besagen, daß die Menschen, in die man sich verliebt, oft das gesuchte eigene Spiegelbild darstellen. Wer weiß, vielleicht sieht ja Pavel in Mathilda irgendetwas von sich von vor Jahren, was möglicherweise irgendwann irgendwo auf der Strecke geblieben ist?!

Bei den dargestellten Charakteren handelt es sich um junge Großstädter in Deutschland. Liegt hierin die Ursache für die Kreation der Tanzbar »Ostende« als Hauptort des Geschehens?

Also, die Charaktere sind von sehr unterschiedlichem Alter und sie durchleben unterschiedliche Situationen des Lebens. Aber der Film spielt sicherlich vor allem an Orten, wie ich sie von meinem eigenen Leben her kenne. Dreh- und Angelpunkt dabei ist der fiktive Musik-Club Ostende. Alle vier Hauptfiguren haben mit dem Club zu tun, ein großer Teil der Geschichte ereignet sich dort. Der Club ist ein öffentlicher Raum, der es erlaubt, unterschiedliche Menschen aufeinander stoßen zu lassen und gleichzeitig ist er aber auch ein Ort, der doch schon eher von bestimmten Leuten, einer speziellen Klientel aufgesucht wird. Andere Figuren wären da vielleicht besser in einem Park, oder in einem Krankenhaus, in einer Bibliothek oder im Museum aufgehoben, keine Ahnung.

Ist es eine kalte Welt, in der dein Film spielt?

Es ist keine betont kalte Welt. Die Welt von Pavel am Beginn des Films ist eine emotional vielleicht oberflächliche. Aber es war überhaupt nicht mein Bedürfnis, eine sozialpädagogischen Film zu machen. So etwas würde ich ablehnen. Vermutlich ist die dargestellte Welt ein Spiegelbild einer bestimmten Gesellschaft in der heutigen Gesamtgesellschaft. Ich vermute dies, weil diese Welt, in der der Film spielt, hier und jetzt erdacht wurde. Aber das sei dem Zuschauer überlassen.

 
 

Der Film ist auf Videomaterial gedreht. Wie kamst du auf diese Technik?


Technik ist erst möglich durch ihre Erfindung. Heute kann man, im Gegensatz zu früheren Jahrzehnten, mit DV- bzw. Mini-DV-Kameras arbeiten. Das sind kleine, relativ leicht bedienbare Kameras, die vergleichsweise wenig Aufwand verursachen. Der Vorteil davon ist, daß man das Drehteam klein halten kann und zugleich flexibler ist. Auch kommt es unserer Idee entgegen, die Kamera den Schauspielern folgen zu lassen und nicht umgekehrt. Die Akteure können ihren Raum maximal nutzen ohne durch die Technik eingeengt zu werden. So entwickelt sich eine andere Form der Nähe zum Darsteller, eine Intimität, die mit größerer Technik schwieriger zu erreichen ist.

Ist es schwierig, einen solchen Film in Hessen zu machen?

Trotz aller Schwierigkeiten darf ich glücklich sein, die Chance dazu gehabt zu haben. Ich erhielt anfangs Drehbuchförderung, und nur mit dem Treatment auf dem Schreibtisch zeigte sich die Chefin der Spielfilmabteilung des Hessischen Rundfunks spontan begeistert von dem Projekt. Dennoch, ja, es ist schwierig.